JOCHEN MEISTER
ROT IM BAYERFORUM
MAI 2000

 

 

Eine Eingangshalle stellt besondere Anforderungen an ein Kunstwerk. Gäste kommen und gehen, halten sich manchmal eine Zeit lang auf; nicht unbedingt achten sie auf das Kunstwerk, doch wie bei Architektur ist das Werk mitverantwortlich für den Eindruck, die Atmosphäre des Raumes. Manfred Mayerle hat drei rote Leinwände von zwei mal sechs Metern zu einem Quadrat gefügt, das mit seiner großen Erscheinung auf den kubischen, zweigeschoßigen Raum eines Foyers reagiert. Aber eigentlich agiert es: Sein Rot bestimmt das Licht im hellen Raum. Mehr noch: es scheint vor der Wand zu schweben, den Raum imaginär zu erweitern und damit vital zu interpretieren. Die seitlichen Kanten der Leinwände sind rückwärtig blau gefasst und reflektieren diesen kontrastierenden Farbton links und rechts auf die weiße Wand. So scheint es hinter der Leinwand weiterzugehen wie hinter einer roten Membran, die ihre Energie abstrahlt. Der Vorgang des energetischen Austauschs zwischen Raum und farbiger, körperlicher Leinwand erinnert an Einatmen und Ausatmen organischer Lebewesen.

 

Die Leinwände haben überhaupt erstaunlich viel von Lebewesen an sich. Ihre Körperlichkeit wird deutlich durch die schmalen Figuren, an denen die drei Teile aneinanderstoßen, geschlossenen Öffnungen des Bildleibes. Die untere Fuge ist gesäumt von blauen, stellenweise grün changierenden Streifen, die obere von gelben. Sie klammern die Haut des Farbkörpers zusammen und erweitern das Rot zugleich zu einer primärfarbigen Komposition. Nie würde das Rot seine tiefe vibrierend membranhafte Wirkung dabei entfalten können, würde es nicht tatsächlich aus zahlreichen, immer neu übermalten Schichten aufgebaut worden sein. Im Entstehungsprozess ist die rote Farbe selbst einmal blau, grün, gelb gewesen, bis letzte rote Schichten den Oberflächenton bestimmten. Dieser Vielschichtigkeit ist ein für anfangs erwähnten besonderen Ort wichtiger Umstand zu verdanken, dass nämlich das Rot seine ihm eigentlich zueigene Agressivität, die es zur Signalfarbe macht, gegen eine meditative Qualität getauscht hat. Scheinbar steht dies widersprüchlich zur beschriebenen vitalen Dynamik. Tatsächlich aber ergänzt sich beides zu einer Wirkung, die sich rasch im Raum entfaltet, ohne Eintretende zu treiben. Für einen Moment umgibt uns das Rot, das übrigens Goethe in seiner dem Farbkreis eingeschriebenen Pyramide als Spitze und Kulminationspunkt, als Höhepunkt der Farben betrachtete. Doch es bedrängt uns nicht. Es ist uns ein nobler Partner.